M. Stausberg: Contemporary Theories of Religion

Cover
Titel
Contemporary Theories of Religion. A critical companion


Herausgeber
Stausberg, Michael
Erschienen
London 2009: Routledge
Anzahl Seiten
309 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Ansgar Jödicke

Die kritische Darstellung gegenwärtiger Religionstheorien des Bergener Religionswissenschaftlers Michael Stausberg kann in mehrfacher Hinsicht als vorbildlich gelten. Das Buch bietet kurze und differenzierte Einführungen und zeigt Möglichkeiten der Kritik. Alle Beiträge eigenen sich als Einführungen auch für Studierende. Gleichzeitig setzen das Einleitungs- und Schlusskapitel eine Metareflexion über die Theoriediskussion in Gang.

Gängigen Handbücher und Einführungen in die Theoriediskussion stehen bei der Auswahl der neueren Autoren in der Regel vor dem Dilemma nicht entscheiden zu können, wer schon zu den Klassikern gehört und wer nicht. Wissenschaftsgeschichtlich betrachtet werden Autoren häufig «vergessen», ehe sie zu Klassikern avancieren. Das Theoriekompendium von Stausberg nimmt demgegenüber eine völlig andere Perspektive ein, indem es 17 «neuere» Theorien zum Begriff der Religion synchron «nebeneinander» diskutiert, die zwischen 1990 und 2007 in Monographien veröffentlicht wurden.

Folgende Bücher werden in der Reihenfolge ihres Erscheinungsjahres besprochen: Rethinking Religion (Lawson/McCauley 1990), Faces in the clouds (Guthrie 1993), Creation of the sacred (Burkert 1996), Pigs for the ancestors und Ritual and religion in the making of humanity (Rappaport 1968 und 1999), Acts of faith (Stark/Finke 2000), The religion of society (Luhmann 2000), Why God won’t go away (Newberg/D’Aquili/Rause 2001), Religion explained (Boyer 2001), How religion works (Pyysiäinen 2003), In gods we trust (Atran 2002), Darwin’s cathedral (Wilson 2002), Inside the Neolithic mind (Lewis-Williams/ Pearce 2005), Crossing and dwelling (Tweed 2006), Religion is not about God (Rue 2005), Breaking the spell (Dennett 2006), The God delusion (Dawkins 2006), Cultus und Heilsversprechen (Riesebrodt 2007).

Der Herausgeber ist sich bewusst, dass die Auswahl auch anders ausfallen hätte können. Sie ist jedoch weder personenbezogen noch thematisch einseitig oder irreführend. Damit repräsentiert das Buch zwar nicht jede Variante des gegenwärtigen Theoretisierens über Religion, aber es zeichnet doch ein seriöses Bild der aktuellen Situation.

Die 15 einzelnen Kapitel haben keinen formal einheitlichen Aufbau, aber sie repräsentieren einen vergleichbaren Typus von längeren Rezensionen: In allen Artikeln erfährt der Leser etwas zur Biographie ebenso wie zur kritischen Rezeption des Werkes. Der Inhalt des besprochenen Buches wird detailliert wiedergegeben und in den Kontext der anderen Werke des Autors eingeordnet. Mit Kritik wird nicht gespart, aber den Kritiker darf ein hohes Mass an Fairness attestiert werden. Sie operieren auch mit theorieimmanten Massstäben, legen Ungereimtheiten innerhalb der Theorie offen und messen die Theorien an den von ihnen selbst gestellten Ansprüchen.

In der Einleitung und im Schluss stellt der Herausgeber Verbindungen her. Die vergleichende Arbeit der Religionsforschung wird hier auf der Theorieebene fortgesetzt, indem verschiedene Optionen der Theorieentwürfe herausgearbeitet werden, z.B. ob und wie mit funktionalistischen Zugängen gearbeitet wird oder inwieweit der Theorie Religionskritik bzw. Apologie inhärent sind.

Die Uneinheitlichkeit der behandelten Theorien zeigt sich z.B. darin, dass Theorien auf unterschiedliche Fragen antworten (z.B. nach der Struktur von Religion, nach den Charakteristika von Religion, nach dem Ursprung von Religion). Entsprechend unterschiedlich sind auch der Anspruch und das Gewicht der behandelten Theorien im gegenwärtigen Diskurs.

Darüber hinaus lassen sich noch weitere Beobachtungen anschliessen, z.B. was die Thematik der Theoriearbeit der letzten 20 Jahre betrifft. Alle 15 Beiträge nehmen Bezug auf Kognitions- oder Evolutionstheorie (biologisch oder gesellschaftlich) oder auf beide – wenngleich diese Fragen nicht immer im Zentrum stehen. Mindestens 9 behandelte Theorien würde ich als naturalistisch bezeichnen, indem sie sich (bei unterschiedlichen Schwerpunkten) auf mindestens eine der Bezugsdisziplinen Kognitionswissenschaft, Neurowissenschaft und Evolutionsbiologie beziehen. Davon sind 5 Beiträge explizit den verschiedenen Varianten der Cognitive Science of Religion gewidmet. Die biologischen und kognitionswissenschaftlichen Themen bestimmen die neuere Theoriediskussion. Auch Theorien, die ihr Zentrum in anderen Provenienzen haben, beziehen sich beiläufig auf diese Theoriebestände.

Auffällig ist die teilweise scharfe Kritik, den insbesondere diese Theorieansätze abbekommen. Es wäre wohl falsch und ungerecht dies als bewusste oder unbewusste, verborgene Agenda des Herausgebers zu identifizieren. Sie hat m.E. dennoch einen systematischen Hintergrund: Die meisten Rezensenten orientieren sich bei ihrer Kritik an der Relevanz einer Theorie für das Studium der Religionen. Religionsgeschichte im weitesten Sinn ist eine Art Erdung der Theoriearbeit. Die Kritik der Autoren entsteht aus einer Haltung, die Religionstheorie auf empirisch-historische Religionsforschung bezieht.

So verstehe ich auch den seltsam schwebenden Charakter des Schlusskapitels. Stausberg deutet hier die Möglichkeit einer «ouverarching ‹grand› theory of religion» an, deren Durchführbarkeit jedoch immer dann, wenn er sie erwähnt, mit drei Fragezeichen versehen wird («assuming such a theory could or should ever be attempted», «probably a hopeless and questionable task», 290). Was kann von der vergleichenden Theoriearbeit erwartet werden, wenn sie sich nicht darin erschöpft, durch die Konstruktion von Theorietraditionen die Übersicht zu erleichtern? Stausberg gibt dem Theoriediskurs den Vorrang vor der einzelnen «Supertheorie» und konzipiert seine Theorievergleiche entsprechend auch nicht als übergreifende Theorie. In dieser Hinsicht beschreitet das Buch neue Wege und bietet mehr als gelungene Einführungen in neuere Religionstheorien.

Zitierweise:
Ansgar Jödicke: Rezension zu: Michael Stausberg (Hg.), Contemporary Theories of Religion. A critical companion, London, Routledge, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 105, 2011, S. 592-593.

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